Keine Empfehlung für Rapsöl in der Primärprävention

Als Diätassistentin setze ich mich dafür ein, dass die primärpräventiven Empfehlungen zum Fettkonsum bzw. Ölverzehr in Deutschland an die aktuelle Studienlage angepasst werden.

Wir Ernährungsfachkräfte in Deutschland sollten in der Primärprävention nach den DGE-Standards arbeiten. Momentan sehe ich hier eine Diskrepanz. Für mich zeigt die derzeitige Studienlage eindeutig, dass ich in der Primärprävention mit gutem Gewissen kein Rapsöl empfehlen kann. Rapsöl weist aus meiner Sicht keinerlei gesundheitlichen Nutzen für den menschlichen Stoffwechsel auf, dafür aber viele Nachteile. Auch die Empfehlung zum Konsum bestimmter anderer Öle bzw. Fettsäurespektren sollte wegen der unten aufgeführten Standpunkte überdacht werden.

Primärpräventive Ernährungsempfehlungen, wie die aktuellen DGE-Empfehlungen, sind für Gesunde konzipiert. Das wird in den „Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr“ (2015) deutlich ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund taucht die Überlegung auf, ob diese „gesunde“ Bevölkerung noch den Großteil unserer Kunden in der Beratung/Schulung darstellt? Oder müssen wir vielmehr auch im primärpräventiven Bereich mit Nährstoff- und Lebensmittelempfehlungen aufwarten, die Prävalenzen bzw. Ursachen für Stoffwechselerkrankungen berücksichtigen?

Beispielhaft: ein Mensch, der eine genetische Variante zu einer atherogenen Fettstoffwechselstörung aufweist, die sich noch nicht manifestiert hat, kann durch eine individuell primärpräventive Begleitung, auf die Art der Fettstoffwechselstörung abgestimmt, weiterhin weitgehend bis vollständig stoffwechselgesund bleiben. Aus ganzheitlicher Sicht sollte dann eine Empfehlung zur Fettsäureaufnahme immer differenziert bzw. individuell erfolgen, da nur dann die Entwicklung der Arteriosklerose und deren Folgen vermindert oder verhindert werden kann.

In meinen regelmäßig stattfindenden Schulungen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung komme ich immer wieder in Konfliktsituationen, in denen ich meine Nichtrapsölempfehlung verteidigen muss. Aus diesem Grund würde ich mir Standards wünschen, die für alle Beteiligten vertretbar sind. Aus ethischen Gründen verzichte ich momentan darauf die bestehenden Empfehlungen weiterzutragen. In der Prävention nach §§ 20 und 20a SGB V ist die wissenschaftlich basierte und dennoch individuelle Ernährungsberatung für die Klienten und die Mitarbeiter in den Betrieben sinnvoll. Deren Versorgung und die dabei allseits gewünschte Umsetzung der Ergebnisqualität, liegen uns qualifizierten Ernährungsfachkräften am Herzen.

Folgende Aspekte zu den Wirkungsspektren der Fettsäuren sollten aus meiner Perspektive künftig grundsätzlich in die Beratung und Therapie miteinfließen. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll vielmehr einen Überblick über die Breite der Thematik aufzeigen. Insbesondere soll sie zeigen, dass ein regelmäßiger Konsum von α-linolensäurereichen Ölen und Nüssen sowie ölsäurereichen Fetten gut überlegt sein sollte.

  • 40 Studien zeigen, dass täglich 2 EL Rapsöl in die Kost eingearbeitet, einen starken Anstieg der Prostatakarzinomrate bei den Probanden bewirken. Dies wird eindeutig dem erhöhten α-Linolensäure-Gehalt (ALA = eine Omega-3-Fettsäure) zugeschrieben.
    Die PHS-Studie findet einen Zusammenhang von hohem α-Linolen-Fettsäurespiegel und dreifachem Prostatakrebsrisiko(Gann, Hennekens, Sacks, Grodstein, Giovannucci, & Stampfer, 1994).
    Die HPF-Studie erkennt eine Verbindung von hohem ALA-Konsum zu doppeltem Risiko von fortgeschrittenem Prostatakrebs. Als tierische Hauptquellen von ALA werden rotes Fleisch und fette Milchprodukte ermittelt. (Leitzmann, et al., 2004) (De Stéfani, Deneo-Pellegrini, Boffetta, Ronco, & Mendilaharsu, 2000) (Brouwer, Katan, & Zock, 2004)
  • Auch werden hormonabhängige Mammakarzinom-Raten in Zusammenhang mit einer regelmäßig höheren ALA-Aufnahme gebracht.
  • Außerdem verstärkt die ALA eine bestehende Insulinresistenz. Ein regelmäßiger Konsum an Olivenöl bzw. ölsäurereichen Fetten ist aus meiner Perspektive in der Primärprävention zu überdenken, da mehr als 50 % der Bevölkerung übergewichtig ist. Die freie Ölsäure ist toxisch für die Beta-Zelle und fördert somit die Insulinresistenz. Zudem fördern der Verzehr von Palmitinsäure und Omega‐3-Fettsäuren vom Fisch die Insulinresistenz. (Wüsten, 2000) (Djoussé, Hunt, Tang, Eckfeldt, Province, & Ellison, 2006)
  • Die α‐Linolensäure ist positiv assoziiert mit Asthma und wirkt sich negativ auf die Lungenfunktion aus. Das forcierte expiratorische Volumen nimmt mit ansteigenden α‐Linolensäurekonzentrationen ab. (Bolte, et al., 2006)
  • Die ALA scheint mitverantwortlich dafür zu sein, dass das Einnisten der Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut, insbesondere bei der in vitro-Befruchtung, verhindert wird. (Jungheim, Macones, Odem, Patterson, & Moley, 2011)
  • Einem Konsum von 1,4 g (= 1 EL) Rapsöl pro Tag schreiben Studienergebnisse eine demenzfördernde Wirkung zu. Ebenfalls soll er Prostatakarzinome fördern und die koronare Herzkrankheit negativ beeinflussen. (Leitzmann, et al., 2004) (Bork, et al., 2018)
  • Bei einem Konsum schon ab 1-2 TL Oliven-, Raps-, Hanföl oder High-Oleic-Sonnenblumenöl sowie Avocado, Gänse- oder Entenfett u.a. pro Person pro Tag kann die damit verbundene erhöhte Ölsäureaufnahme je nach Disposition des Konsumenten zu einer Steigerung der Atherogenität in den Gefäßen führen. Bei Olivenöljunkies werden atherogene LDL-Partikel cholesterinreicher.

Quelle: Werner O. Richter, Pegnitz, Deutschland

  • Zwei Studien beschäftigen sich mit der Aufnahme von α‐Linolensäure und der Entstehung von Linsentrübungen. 440 Frauen, deren Alter zwischen 52 – 73 Jahre lag, wurden über fünf Jahre hinweg beobachtet. Bei 16 % traten stärkere Linsentrübungen in der Quartile mit dem höchsten Konsum an α‐Linolensäure (P < 0.05) ein, 70 % Zunahme bei höherem Konsum, wenn die Frauen zu Beginn bereits Linsentrübungen aufwiesen (oberste Quartile). Es bestand keine Beziehung zu anderen Fettsäuren. (Lu, et al., 2005) (Lu, et al., 2007)
  • In der Rotterdam Elderly Study konnte kein ausreichender Zusammenhang des Verhältnisses von Omega-3-Fettsäuren zu Omega-6-Fettsäuren nachgewiesen werdenBrief an DGE_Juli 2019-end. (Rotterdam Elderly Study...)
    Im menschlichen Körper wird die α‐Linolensäure C18:3 nur zu 0,1-0,2 % in Eicosapentaensäure C-20:5 umgewandelt. (Pawlowsky, Hibbeln, Novotny, & Salem, 2001)
    Zusätzlich ist zu beachten, dass Linolsäure beim Menschen nur in geringsten Mengen (< 1 %) in Arachidonsäure umgewandelt werden kann. (Rett & Whelan, 2011) Deshalb kann es aus wissenschaftlicher Sicht kein Argument geben, linolsäurereichere Öle für die regelmäßige Ernährung nicht zu empfehlen. ( Tiemeier, H. R. van Tuijl u. a.: Plasma fatty acid composition and depression are associated in the elderly: the Rotterdam Study. In: American Journal of Clinical Nutrition. Nr. 78, 2003, S. 40–46.)
  • Rapsöl verfügt über einen hohen Vitamin K-Gehalt (mehr als 150 μg Vitamin K pro 100 g). Deshalb ist bei gleichzeitiger Einnahme von Marcumar und anderen Vitamin K-Antagonisten Vorsicht geboten.
  • Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nimmt kritisch zu Rapsölkonsum bei Kindern Stellung. (Contaminants in the Food Chain (CONTAM), et al., 2016)

Anregen möchte ich, dass auch die evidenzbasierte Leitlinie „Fettzufuhr und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten“, 2. Version 2015 möglichst bald überarbeitet wird und dabei die aktuellen Studien auch aus dem Jahr 2018 zu berücksichtigt werden.

Literaturverzeichnis

Bolte, G., Kompauer, I., Fobker, M., Cullen, P., Keil, U., Von Mutius, E., et al. (2006). Fatty acids in serum cholesteryl esters in relation to asthma and lung function in children. Clinical & Experimental Allergy , 36, 293-302.

Bork, C. S., Venø, S. K., Lundbye-Christensen, S., Jakobsen, M. U., Tjønneland, A., Calder, P. C., et al. (2018). Adipose tissue content of alpha-linolenic acid and the risk of ischemic stroke and ischemic stroke subtypes: A Danish case-cohort study. PloS one , 13, e0198927.

Brouwer, I. A., Katan, M. B., & Zock, P. L. (2004). Dietary α-linolenic acid is associated with reduced risk of fatal coronary heart disease, but increased prostate cancer risk: a meta-analysis. The Journal of nutrition , 134, 919-922.

Contaminants in the Food Chain (CONTAM), E. F., Knutsen, H. K., Alexander, J., Barregård, L., Bignami, M., Brüschweiler, B., et al. (2016). Erucic acid in feed and food. EFSA Journal , 14, e04593.

De Stéfani, E., Deneo-Pellegrini, H., Boffetta, P., Ronco, A., & Mendilaharsu, M. (2000). α-Linolenic acid and risk of prostate cancer: a case-control study in Uruguay. Cancer Epidemiology and Prevention Biomarkers , 9, 335-338.

Djoussé, L., Hunt, S. C., Tang, W., Eckfeldt, J. H., Province, M. A., & Ellison, R. C. (2006). Dietary linolenic acid and fasting glucose and insulin: the National Heart, Lung, and Blood Institute Family Heart Study. Obesity , 14, 295-300.

Gann, P. H., Hennekens, C. H., Sacks, F. M., Grodstein, F., Giovannucci, E. L., & Stampfer, M. J. (1994). Prospective study of plasma fatty acids and risk of prostate cancer. JNCI: Journal of the National Cancer Institute , 86, 281-286.

Jungheim, E. S., Macones, G. A., Odem, R. R., Patterson, B. W., & Moley, K. H. (2011). Elevated serum alpha-linolenic acid levels are associated with decreased chance of pregnancy after in vitro fertilization. Fertility and sterility , 96, 880-883.

Leitzmann, M. F., Stampfer, M. J., Michaud, D. S., Augustsson, K., Colditz, G. C., Willett, W. C., et al. (2004). Dietary intake of n- 3 and n- 6 fatty acids and the risk of prostate cancer. The American journal of clinical nutrition , 80, 204-216.

Lu, M., Taylor, A., Chylack Jr, L. T., Rogers, G., Hankinson, S. E., Willett, W. C., et al. (2005). Dietary fat intake and early age-related lens opacities. The American journal of clinical nutrition , 81, 773-779.

Lu, M., Taylor, A., Chylack Jr, L. T., Rogers, G., Hankinson, S. E., Willett, W. C., et al. (2007). Dietary linolenic acid intake is positively associated with five-year change in eye lens nuclear density. Journal of the American College of Nutrition , 26, 133-140.

Wüsten, O. (2000). Insulinresistenz im postprandialen Lipidstoffwechsel bei metabolischem Syndrom: Untersuchung der Glucosetoleranz nach oraler Fettaufnahme. Ph.D. dissertation, Universitätsbibliothek Giessen.

 

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